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ESTRILDA-Tagung 2021

Als eine von nur wenigen Vogelvereinigungen konnte die ESTRILDA e. V. 2021 ihre geplante Tagung durchführen. Sie fand vom 22. bis 24.10.2021 im thüringischen Jena statt und wurde von Tobias Pfeil organisiert.

Pandemiebedingt war die Teilnehmerzahl geringer als sonst. Aber alle Teilnehmer freuten sich, einander endlich wieder persönlich sehen und sich austauschen zu können. Nach einem gemeinsamen Mittagessen am Freitag ging es zum Phyletischen Museum. Das Museum wurde 1907 durch den berühmten Naturforscher Ernst Haeckel gegründet und ist heute Teil der Universität Jena.

Im Namen steckt der Fachbegriff für die Stammesgeschichte, "Phylogenese". Ziel der Ausstellung ist es, die verwandtschaftlichen Beziehungen der Lebewesen untereinander aufzuzeigen. Sie ergeben sich aus der Evolution, und wenn man weit genug in der Stammesgeschichte zurückgeht, so finden sich für alle Lebewesen an irgendeinem kürzer oder länger zurückliegenden Zeitpunkt gemeinsame Vorfahren.

Im Anschluss an das Abendessen präsentierte Daniel Hellmuth (Vorsitzender

der VZE-IG Prachtfinken) einen Vortrag über Gemalte Amadinen (Emblema pictum). Die Art besticht seit jeher durch ihr apartes Erscheinungsbild und eine Vielzahl interessanter und in der Familie der Prachtfinken außergewöhnlicher Verhaltensweisen. Hellmuth hält die Art seit mehreren Jahren sehr erfolgreich, und teilte seine Erfahrungen und die aus seiner Sicht kritischen Punkte bei der Haltung und Zucht mit.

Wichtig ist, dieser sich gerne in Bodennähe aufhaltenden Art einen entsprechend strukturierten Volierenboden zu bieten (z.B. mit Wurzeln und Steinen), zudem weiter oben in der Voliere Plateaus (z. B. Brettchen), auf denen sie sich gerne niederlassen. Gemalte Amadinen sind überhaupt keine guten Kletterer, sie bevorzugen die Futteraufnahme am Boden. Sehr wichtig ist laut Daniel Hellmuth – besonders während der Jungenaufzucht – die fortwährende Gabe von roter Kolbenhirse.

Aufgrund ihrer Friedlichkeit können Gemalte Amadinen sehr gut mit anderen

Prachtfinken-Arten vergesellschaftet werden. Auch eine Sehwarmhaltung ist möglich, wobei Daniel Hellmuth gute Erfahrungen gemacht hat, wenn ein Weibchenüberschuss vorlag.

Am Samstagmorgen stand zunächst ein Besuch des Botanischen Gartens Jena an, dessen Anfänge auf das 16. Jahrhundert zurückgehen. Die Gewächshäuser, für die der Tagungsorganisator Tobias Pfeil verantwortlich ist, bestechen durch ihren großen Artenreichtum und die durchdachte Präsentation.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen fand dann zunächst die Mitglieder-versammlung statt. Im Anschluss gab es drei Fachvorträge.

Zunächst erzählte Tobias Pfeil von einer Studienreise in den Süden Mexikos, bei

der die Suche nach epiphytisch wachsenden Kakteen im Vordergrund stand. In

seinem Vortrag entführte er uns in eine Welt mit sehr besonderen klimatischen

Bedingungen, die ansonsten eher Spezialisten bekannt ist. Pfeil zeigte eine Vielzahl von Arten und die zum Teil sehr speziellen Wachstums-Standorte. Auch wenn es nicht das eigentliche Ziel der Reise war, so gab es durchaus auch interessante Vogelbeobachtungen.

Im Anschluss gab es einen Vortrag von Dr. Dietrich von Knarre. Herr von Knarre war zwischen 1969 und 2003 Kustos am Phyletischen Museum Jena. Dort baute er eine beachtliche Sammlung auf, u. a. auch von avifaunistischen Exemplaren. Zudem kann man ihn als NABU-Urgestein bezeichnen, der Mitbegründer der 1990 gegründeten Landesgruppe Thüringen ist und lange deren Vorsitzender war. Bis heute arbeitet er in wichtigen Naturschutz-Gremien des Freistaates Thüringen mit. Dr. von Knarre ist zudem verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Thüringer ornithologische Mitteilungen", die vom Landesfachausschuss Ornithologie des NABU Thüringen herausgegeben wird.

In seinem Vortrag referierte er über die Vögel des Jahres 2020 und 2021, die Turteltaube und das Rotkehlchen, sowie über die massiven Probleme, die die immer stärker intensivierte und effizienzgetriebene Landwirtschaft auf die Artenvielfalt hat. Reichlich mit Daten aus früheren Jahrzehnten bis ins 19.Jahrhundert hinein unterlegt, ließ Dr. von Knarre keinen Zweifel daran, dass der mit der Intensivierung der Landwirtschaft einhergehende Verlust von Lebensräumen der Hauptgrund für den Artenverlust und die dramatische Abnahme der Singvogelbestände in Mitteleuropa ist. Hier sind vor allem die Abkehr von kleinen landwirtschaftlichen Parzellen, die oft durch Hecken und Streifen von Wildkräutern und Gräsern begrenzt wurden, der Rückgang von Brachland, aber auch der Einsatz von immer mehr Unkrautvernichtungsmitteln" und Dünger zu nennen. Eine Lösung der Probleme sowie eine Verbesserung der Lage für die Natur sieht Dr. von Knorre letztlich nur darin, dass die Menschen stärkeren Verzicht üben.

Abschließend hielt Prof. Dr. Sven Cichon noch einen Vortrag über evolutionäre Aspekte der Lonchura-Arten Papua-Neuguineas sowie der angrenzenden Gebiete (Nordaustralien sowie umliegende Inseln). Bereits seit längerem ist bekannt, dass die Arten der Gattung Lonchura sehr nahe verwandt sind. Dies deutet darauf hin, dass die Artaufspaltung erst in evolutionär jüngster Zeit erfolgt ist.

Ein besonders interessantes Gebiet für Untersuchungen zur Evolution dieser Arten ist der Großraum Papua-Neuguinea. Dort leben mehrere Arten, die sich in ihrer Gefiederfärbung zum Teil erheblich unterscheiden, auf engstem Raum zusammen. Manche der Arten teilen sich sogar denselben Lebensraum. Die große Frage für die Biologen ist, welche die (offenbar wenigen) genetischen Unterschiede sind, die für die Arttrennung und die äußerlichen Unterschiede verantwortlich sein könnten. Um diese Frage zu beantworten, arbeiteten zwei Forscher der Universität Boston mehrere Jahre im Freiland und im Labor. Prof. Michael Sorenson und seine Doktorandin Katie Faust Stryjewski fingen bei mehreren Reisen in die zum Teil sehr entlegenen Lebensräume der Vögel eine Reihe von Exemplaren von 12 verschiedenen Lonchura-Arten im Großraum Papua-Neuguinea. Sie nahmen den Tieren Blut ab und lasen mithilfe von speziellen Labormethoden deren DNA-Sequenz aus. Stryjewski und Sorenson fanden heraus, dass für die Arttrennung tatsächlich relativ wenige genetische Unterschiede verantwortlich sind (ca. 1 %).

Zudem sind große Teile der Erbinformation der einzelnen Arten identisch, die Unterschiede liegen in wenigen Abschnitten der DNA, die unter anderem Gene enthalten, die bei der Gefiederfärbung eine Rolle spielen. Diese Stellen kommen in unterschiedlichen Kombinationen bei den einzelnen Arten vor.

Möglicherweise sind sie durch gelegentliche Hybridisierungen (die von Lonchura-Arten auch durchaus bekannt sind, sowohl in der Haltung als auch in der Natur) von einer Art zur anderen „verschoben" worden. Auf diese Art und Weise könnten auch in relativ kurzer Zeit neue Arten entstehen (im Grunde sind diese artübergreifenden Kreuzungen ja etwas, was wir in der Vogelhaltung immer versuchen zu vermeiden; und dann passiert das in der Natur auch!).

Mithilfe der genetischen Daten lässt sich auch ungefähr errechnen, wie lange es her ist, dass die verschiedenen Lonchura-Arten im Großraum Papua-Neuguinea entstanden sind: dies liegt offenbar erst 270.000–500.000 Jahre zurück, eine evolutionär gesehen erstaunlich kurze Zeit, wenn man bedenkt, dass die Prachtfinken bereits vor 15–20 Mio. Jahren entstanden sind.

Im Anschluss klang der Abend in gemütlicher Runde aus. Auf dem Heimweg besuchten am Sonntag einige Teilnehmer noch den Zoopark Erfurt. Herzlichen Dank an Tobias Pfeil für die Organisation dieser schönen Tagung.

Dietmar Schmidt und Prof. Dr. Sven Cichon

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